Herzlichen Dank, Dorothea!

Es war einer der schlimmsten und prägendsten Momente in meinem Leben – gerade noch gesund und dann – im nächsten Moment die Diagnose Psychose und untergebracht auf einer psychiatrischen Station. Völlig verstört durch diesen Schicksalsschlag, wollte ich nicht akzeptieren, was Psychiater*innen mir immer wieder empfahlen: Psychopharmaka mein Leben lang schlucken und einsehen, dass ich krank bin.

Da war plötzlich dieses Buch. Meine Mutter hatte beim Verein Hilfe für Angehörige psychisch Erkrankter Beratung gesucht und bekam dort das Buch von Dorothea Buck (Sophie Zerchin) empfohlen: Auf der Spur des Morgensterns – Psychose als Selbst-Findung. Ab da begab ich mich auf den Weg, um die Spur zu dem in mir zu finden, das mich psychotisch machte.

Dabei beobachtete ich mich aufmerksam und stieß auf einiges, das meiner Gesundheit schadet. Zum Beispiel: Dinge tun, weil ich mich dazu verpflichtet fühle und ich glaube, dass andere es von mir erwarten; mich an anderen zu orientieren; die Welt verbessern zu wollen; mich grenzenlos für eine Sache zu begeistern; mein Bestes geben, perfekt sein zu wollen; hohe Ansprüche an mich zu stellen und Probleme anderer Menschen auf mich laden und lösen zu wollen – alles, das in mir hohen Druck auslöst und wobei ich meine Grenzen bisher überging.

Durch meine Selbstbeobachtung wurde mir aber auch immer klarer, was mein Wohlbefinden fördert. Zum Beispiel: ein achtsamer Umgang mit Ansprüchen und Erwartungen; Selbstannahme, mir keine Vorwürfe zu machen und darüber hinaus, mich selbst zu lieben; meine Müdigkeit nicht zu übergehen und für ausreichenden Schlaf sowie ausgewogene Ernährung zu sorgen; Bewegung in der Natur; mir Zeit lassen und mich auf meinen Atem konzentrieren.

Dorothea Buck gab mir vor zweiundzwanzig Jahren, nach meiner ersten Psychose, durch ihr Buch Mut, an mich zu glauben. Es folgten weitere Psychosen, doch in jeder entdeckte ich mehr über mich, und so wuchs auch mein Wissen darüber, was ich brauche, um nicht psychotisch zu werden. Durch die EX-IN Ausbildung, die ich im November 2015 abschloss, brauche ich meine psychische Krisenerfahrung nun auch nicht weiterhin zu verheimlichen, im Gegenteil, plötzlich ist es für andere von Bedeutung, dass ich diese Erfahrungen gemacht habe. Als EX-IN Mitarbeiterin im Verein LOK Leben ohne Krankenhaus ist es mir aufgrund meines Erfahrungswissens nach vierzehn Jahren Arbeitslosigkeit sogar möglich, für meinen Lebensunterhalt wieder selbst zu sorgen.

Der 16. März 2016 war ein für mich sehr berührender Moment – ich durfte Dorothea Buck persönlich kennenlernen. Meine EX-IN Kollegin Ursula und ich besuchten Dorothea, die mit uns sogleich gemeinsam schriftlich Vorschläge formulierte für ein neues Wohnheim im Das Rauhe Haus. Konzentriert auf unsere Arbeit, nahm sich Dorothea nicht Zeit, mittags zu essen, denn, wie Dorothea es aussprach: „Wir verändern gerade die Psychiatrie!“

So hast Du, liebe Dorothea, mich gelehrt aus der „Opferrolle Patientin“ herauszutreten und Deine Selbst-Findungserfahrung hat zu meiner Selbst-Findung geführt. Wiederum Anstoß für andere zu sein, sich selbst zu finden, darin sehe ich meine Lebensaufgabe.

Herzlichen Dank, Dorothea, für Deine inspirierende Kraft und Ausdauer, für die große Ehre, dass ich Dich auch an Deinem 100. Geburtstag gemeinsam mit meinen EX-IN Kolleginnen Ursula und Doris besuchen durfte und für Deine offenherzige Präsenz bei Telefonaten, die Du stets mit einem „Buck“ einleitest, das mich Vertrautheit und Geborgenheit fühlen lässt!

Dieser Text wurde erstmals veröffentlicht in Psychose als Selbst-Findung. Bald 100 Stimmen zu Dorothea Bucks 100. Geburtstag. Eine Fest- und Feierschrift. Elena Demke/Mirko Olostiak-Brahms (Hg.). Eine Publikation des Bundesverbands Psychiatrie-Erfahrener e.V. ISBN: 978-3-9820780-0-7